Donnerstag, 11. Oktober 2012


einer meiner fußballtrainer, es war mein liebster, erklärte einmal folgende situation. du bist, halblinke seite, in ballbesitz und möchtest abspielen. einer deiner mitspieler, sagen wir die nummer vier, löst sich aus dem zentrum und sprintet quer über platz. schau ihm nicht nach, sagt mein trainer, lass ihn erstmal laufen und richte deinen blick dorthin, wo er herkam, denn dort ist nun eine lücke. in diese lücke wird, sagen wir, die nummer sechs vorstoßen. spiele dieser den ball zu. und wenn nummer sechs nun ein bißchen was von dem spiel versteht, wird sie den ball direkt und aus bester position, wesentlich besser als deine eigene, an die nummer vier weiterspielen, die sich selbst bis dahin in noch bessere position zum flanken gebracht hat. und wenn du nun schnell genug bist, kannst du die flanke, die nummer vier, nach dem pass von nummer sechs, nun schlägt, ins tor köpfen.

die lücke ist wertvoll, sagt mein trainer. und der, der sie reißt, bleibt dann im spiel, wenn die, die sie sehen, sie richtig bewerten und wissen, dass lücken wertvoll sind. das kann man üben, sagt mein trainer, aber das sagt er immer.

Montag, 3. September 2012


Eine Jugenderinnerung. An der Decke eines Hotelzimmers in Lugano kreist ein Ventilator. Ich lese ein Buch. Nikolaus Korpanoff wird mit einem glühenden Schwert geblendet, weil er gar nicht Nikolaus Korpanoff ist. Iwan Ogareff und die Tataren haben ihn entlarvt und gefangen genommen, Michael Strogoff, den Kurier des Zaren.

Der Schreck über Blendung Strogoffs gräbt sich tief in mich ein. Das Gefühl der Unumkehrbarkiet macht mir Angst damals und verbindet sich in meiner Erinnerung mit dem kreisenden Ventilator. Als hätte Strogoff selbst, bevor das Schwert ihn erreichte, diese kreisende Bewegung gesehen. Aber das Buch geht weiter, trotz Unumkehrbarkeit. Oder gerade deswegen.

Später kann Strogoff wieder sehen. Die Tränen, die er für seine leidende Mutter vergossen hatte, hatten ihn vor der Hitze des Schwerts geschützt.

Später geht es auch für mich weiter, ich sitze im Auto, raus aus Lugano, auf der Autobahn, auf dem Rücksitz.

Freitag, 24. August 2012


Zedekiah, König von Jerusalem, wird bei der Einnahme und Zerstörung der Stadt im Jahr 586 v.Chr. durch die Babylonier gefangen genommen. Um Rache zu üben, befiehlt Nebukadnezar II., der König der Babylonier, die Kinder des jüdischen Königs vor dessen Augen zu töten. Dann wird Zedekiah geblendet, damit jener schreckliche Anblick das letzte sein möge, was er jemals zu sehen bekam. Die glühenden Eisen drücken die toten Körper in das innere Auge.

Eine lokale Jerusalemer Legende erzählt davon, dass Zedekiah bis heute über dieses Schicksal weint. Aber das Wasser, auch wenn es den brennenden Schmerz zunächst zu löschen vermag, lässt den Abdruck doch erkalten und damit sich verfestigen, hart werden.

Donnerstag, 16. August 2012


Am 17.2.1941 wurde der amerikanische Soldat Charles M. Stilway von einem streunenden Hund gebissen, schleppte sich vor das nächstgelegende Krankenhaus und brach zusammen. Die Stadt Guiyang lag in einer der ärmsten chinesischen Provinzen dieser Zeit, in Guizhou. Dennoch wurde er versorgt. Auch unter schlechtesten Verhältnissen ließen sich hier mit Hilfe von Formaldehyd Kaninchenhirne abtöten und daraus dann Tollwutimpfstoff herstellen.
Stilways Humpeln war aber nicht auf den Biss des Hundes zurückzuführen. In seinem rechten Schenkel steckte eine Kugel aus dem Lauf eines japanischen Gewehrs. Der Hund hatte sich also ein wehrloses Opfer gesucht. Auch die Kugel wurde ihm entfernt.

Während des zweiten japanisch-chinesischen Krieges hatten sich nationalistische und kommunistische Kräfte in China eine zeitlang zusammengeschloßen, um gemeinsam gegen den japanischen Aggressor vorzugehen. Der Bürgerkrieg schwächte sich dadurch etwas ab. Diese von Misstrauen geprägte Koalition der Kuomintang unter Generalissimo Chiang Kai-shek und den Kommunisten Mao Zedongs zerbrach jedoch im Winter des Jahres 1940. Die Feindseligkeit zogen sich wieder quer durch das Land.

Charles Stilway trug seit Anfang 1941 zwei Bildnisse in seiner Tasche. Eine Zeichnung des Generalissimos und ein Foto Maos. Bevor er vor dem Karnkenhaus in Guiyang das Bewusstsein verlor, griff er noch in seine Tasche und zog, ohne zu wissen welches, eines der beiden Bilder heraus. Mit letzter Kraft zerriß er dies eine in viele kleine Stücke und schleppte sich noch einige Meter weiter, dann wurde ihm schwarz.

Der Amerikaner wurde gefunden, seine Taschen durchsucht. Das wenige Geld, das man in bei ihm fand, wurde in einen Teller gelegt. Man tötete ein Kaninchen, zog ihm die Kugel aus dem Bein. Der Chirurg aß gerade eine Portion Reis, als Stilway wieder zu sich kam. Er war noch schwach. Man hatte ihn neu eingekleidet und händigte ihm sein Geld aus. Einige Tage später verließ er das Krankenhaus.


Diese Geschichte erzählte mir ein Buchhändler in einem alten Laden voller antiquarischer Bücher in San Diego, in dem ich ein Buch zum Geburtstag meiner Tochter kaufen wollte. Während seiner Erzählung blätterte ich ab und an in einem Kinderbuch aus den sechziger Jahren, das ich in der Hand hielt. Das Buch habe ich schließlich gekauft, obwohl es darin um einen recht unzeitgemäßen Hasen geht, der ohne es zu wollen, der kleinen Hauptperson des Buches einigen Spaß bereitet. Meine Tochter mochte das Buch eine zeitlang ganz gerne, dann geriet es, wie sovieles, in Vergessenheit. Der Hase, ich habe das heute nochmals nachgeschlagen, hört auf den Namen Young K. Jack.

Dienstag, 24. Juli 2012

Montag, 18. Juni 2012

Donnerstag, 7. Juni 2012


pssst, sagte der zwerg, der mir beim denken zugehört hatte, nicht darüber reden. fragend schaute ich ihn an. weißt du, sagte er dann, wenn man immerzu sagt, wie furchtbar teuer oder wenn man gar immerzu sagt, wie sündhaft teuer diese stadt ist, dann denkt die stadt ja selbst, weißt du, dann denkt die stadt ja höchst selbst, dass sie so teuer zu sein hat. und eine stadt, sagte er, die von sich selbst – sündhaft, furchtbar – denkt, dass sie teuer zu sein hat, die wird dann ja, wie sollte sie denn auch anders, die wird dann auch teuer sein, und sich gar noch was auf ihre sündhaftigkeit, die ja eigentlich vielmehr teuerhaftigkeit ist, einbilden und alles bleibt so wie es ist. ich dachte nach, bis der zwerg wieder verschwunden war. dann fiel mir ein, dass die geschichte doch etwas seltsam klingen musste: ein sich auf die performanz der sprache berufender zwerg, der mir beim denken zugehört hatte. das glaubt mir ja doch niemand, auch wenn ich noch so oft und bei jeder gelegenheit betone, dass münchen mit großem abstand die stadt mit den meisten zwergen ist, die einem beim denken zuhören können

Dienstag, 29. Mai 2012


sitzts einer am stiglmaierplatz, grüßt und zählt die rotphasen. ein passant steht kopfschüttelnd daneben. die viele wertvolle zeit, denkt er, was man da alles gscheits mit machen könnte, mit der ganzen zeit, denkt er. und warten muss er doch bis grün wird.

Donnerstag, 10. Mai 2012


hermann alker, 1937/38 »stadtbaurat mit besonderen aufgaben« in münchen, hatte zehn jahre zuvor, 1927/28 das »stadion der universität freiburg« ohne dach bauen lassen; das war auch damals so üblich. als das stadion fünf jahre später, am zehnten mai 1933 von studenten der universität dazu genutzt werden sollte, in ihrer »aktion wider den undeutschen geist«, öffentlich bücher zu verbrennen, fehlte ein solches dach. es regnete stark an diesem tag, die verbrennung musste ausfallen. anderswo hatten die verbrennungen recht großen zulauf. berlin, opernplatz: 80.000, hier in münchen, königsplatz: 50.000.
neben dem stadion baute alker in der freiburger region noch das »engländerdenkmal« (1938) auf dem schauinsland und das »schlageterdenkmal« (1939) in schönau im schwarzwald, dem geburtsort von albert leo schlageter (und auch von jogi löw). aber das sind ganz andere geschichten, die noch zu erzählen wären.

Sonntag, 22. April 2012


im schwarzwald, sagt sie, hat es geschneit. sie mag das nicht, wenn sie mit dem großen auto unterwegs ist. hier unten ist schlimmstes aprilwetter, teile ich per telefon mit während ich ihr den weg zu meiner wohnung genau beschreibe, aber es liegt kein schnee. das beruhigt sie. wir haben hier ende april selten schnee, sage ich. hier in der stadt gehen die dinge sehr geordnet und zivilisiert zu, im april darf es also regnen und stürmen, aber nicht schneien. nur wenn dunkle wolken sich in den dunkel bewaldeten hügeln verfangen, dann kann man sich für kurze zeit vorstellen, warum die zivilisierten römer auf die idee kamen, den wald hier schwarzwald nennen zu wollen.

Mittwoch, 20. Juli 2011


'always go to other people's funeral, otherwise they won't come to yours', hat ein anständiger mensch einmal gesagt, unter anderem

Dienstag, 19. Juli 2011


gefahren der ähnlichkeit.
heute sagte einer dem anderen, er solle doch bitte etwas mehr anstand zeigen. der andere hat meine sympathie, keinen anstand haben, bitte.
beim hören von savoy grand bemerke ich, dass es deren anständige traurigkeit ist, die mir gefällt. vielleicht also doch – seid anständig, leute.